Ende Dezember 2015 fuhren wir zum ersten Mal nach Less Wouroum. Dieser kleine Ort liegt direkt an der «Hauptachse» von Süden nach Norden, 9 Kilometer nach der Grossstadt Banyo. Wobei Wouroum der Name des Flusses ist und Less soviel wie «neben/bei» bedeutet. Less Wouroum ist ein winziges muslimisches Dörfchen, von dessen Schule wir bereits vorab in der Schweiz erfahren hatten. Bei unserer Anfahrt erspähten wir schon von Weitem zwei simple kleine Buschhütten ohne Wände und mit einem Strohdach. Unter einem von diesen stand eine Kuh. Genauso sah diese Schule auch aus. Denn wenn man nicht weiss, dass es eine Schule ist, sieht es eher wie ein dürftiger Unterstand für das Vieh zum Schutz vor der Sonne aus. Eine Tafel wies uns auf die Schule hin, ansonsten hätten wir sie in der Tat übersehen!
Unmittelbar neben der Schule steht der Compound von Dorfchef Jaro, welcher uns mit weiteren Dorfmännern begrüsste. Wir befragten ihn über sein Dorf und über die Menschen. Less Wouroum hat rund 400 Bewohner, welche verstreut in kleinen Hütten zirka 5 Kilometer um seinen Compound herum leben. Sie gehören überwiegend dem Stamm der Fulbe (einem ursprünglich nomadisierenden Hirtenvolk), der Yamba sowie einigen Ureinwohnern an. 80 Kinder (Stand Dezember 2015) besuchen die Schule, in welcher die Klassen von 1 bis 6 unterrichtet werden. Dazu stehen drei Lehrer der Regierung zur Verfügung. Das Schulgeld beträgt rund CHF 2.50 pro Schuljahr. Die Schule existiert bereits seit 2007 und gilt als offiziell vom Staat anerkannt. Das heisst, die Behörden sind vorbeigekommen und haben die Schule als «errichtet» abgehakt. Auch wenn vom Geld der Regierung kein einziger CFA angekommen ist! Das gesamte Geld für den Bau ist in andere Kanäle versickert. Und weil die Schule als «approved» anerkannt ist, kommt auch keine weitere Hilfe. So versuchen die Behörden ihr eigenes Volk zu unterdrücken und ungebildet zu lassen. Wer keine Bildung hat, wehrt sich nicht und ist einfach zu manipulieren...
Die Dorfbewohner beklagten sich bei uns über diesen Zustand. Sie hätten wirklich alles versucht, um ihren Kindern selber eine Schule zu errichten. Leider hätten sie keine finanziellen Mittel. Neben den zwei Buschhütten standen bereits mindestens 1000 fertige Erdblöcke für einen Neubau. Jaro erzählte, das Dorf habe vorab schon einmal so viele Blöcke gemacht. Doch der Regen habe alles zerstört und sie hätten leider nichts, um es zu bedecken. Nun hätten sie ein zweites Mal damit begonnen. Der Einsatz des Dorfes gefiel uns.
Als wir ihnen mittteilten, dass wir ihnen dabei helfen werden, eine Schule zu errichten, war die Freude riesig. Da sie schon so viele Erdblöcke gemacht hatten, würde der Bau sicherlich bald fertig sein. Sie alle waren voller Motivation, mitzuhelfen. Das Wasser können sie aus dem Fluss holen, der nicht allzu weit entfernt ist. Die anwesenden Kinder (aufgrund von Ferien nur einige wenige) erzählten, dass sie gerne zur Schule gehen. Doch es sei schwierig. Vor allem, wenn es regne. Während die Eltern ausschliesslich Fulfulde sprechen, können die Kinder Französisch, welches sie in der Schule lernen. Die Dorfbewohner beteten alle gemeinsam für und mit uns, als wir mit den Gesprächen über den Neubau fertig waren. Den Startschuss zum Neubau dieses Primarschulhauses konnten wir dank einer Hinterlassenschaftsspende geben. Das Gebäude besteht aus zwei Schulräumen. Eine stabile Eisentüre sorgt für Schutz vor zerstörenden Termiten.
Die einheimischen Frauen mussten während unseres Gespräches – wie es ihre Tradition will – in ihrem Compound bleiben. Sie haben kein Mitspracherecht und dürfen im besten Fall aus der Ferne zuschauen. Wir begaben uns in den Compound von Jaro, um seine Frauen und die Mutter zu grüssen. Sie alle freuten sich sehr, als wir zu ihnen kamen. Sie zogen uns nach der Begrüssung umgehend in eine stockdunkle Strohhütte. Wir staunten über das Vertrauen der Menschen. Wir waren für sie Wildfremde und zudem weisse Personen. Sie waren trotzdem sehr offen und freuten sich wie an allen Orten, dass sich jemand für sie interessiert. Eifrig beschwatzten sie uns von allen Seiten in Fulfulde und wir waren froh, wenigstens einige simple Sätze zu beherrschen, um unseren Dank und unsere Freude über ihre Herzlichkeit auszusprechen zu können.
Ende Februar 2016 waren wir erneut in Less Wouroum. Wir begrüssten den 94 Jahre alten Dorfchef Jaro und weitere Dorfbewohner. Wie weit war der Neubau voran geschritten? Die Arbeit war in vollem Gange. Zwei Buben waren damit beschäftigt, Erde in das bereits bestehende Fundament zu schaufeln. Daneben standen die erstellten Blöcke für die Mauern bereit. Wir knipsten Fotos und unterhielten uns mit den Dorfbewohnern. Woher wir denn eigentlich kommen, wollten einige von uns wissen. Die Schweiz kennen sie nicht. Jaro betete erneut für uns und wir schüttelten überall die Hände, bevor wir uns auf den Rückweg machten.
Im September 2016 besuchten wir die Schule erneut. Sie war zwar noch nicht fertig, doch wurde bereits rege benutzt. Die Wände standen und das Blechdach war angebracht. Auch die alte Buschhüttenschule wurde nach wie vor gebraucht. In beiden Klassen sassen insgesamt 38 Kinder. Wobei uns erklärt wurde, dass 90 erwartet werden, diese jedoch noch mit ihren Eltern auf der Farm am Ernten sind und später hinzu kommen. In der Klasse 5 und 6 waren nur noch 8 Kinder zu finden. Die meisten Eltern haben kein Geld, ihr Kind 5 oder mehr Jahre in die Schule schicken zu können. Diese 8 waren wirklich privilegiert. Wir unterhielten uns mit ihnen und fragten nach ihrem grössten Wunsch, den sie haben. Unter anderem fiel der Wunsch nach Tischen und Bänken. Zurzeit sitzen sie noch auf einfachen Brettern. Zudem teilten sie mit, der Lehrer habe keinen Tisch, sie haben keine Wandtafel und es fehle ein Büro für den Direktor. Immer schön eines nach dem anderen: «small small», wie es die Einheimischen sagen. Wir werden sie nach wie vor besuchen und unterstützen. Doch zuerst musste das Gebäude fertig gestellt werden. Es fehlte nur noch an einer Arbeit von höchstens zwei Wochen, bis alles fertig wäre.
Im April 2017 waren wir erneut in Less Wouroum. Nun war irgendwie der Wurm drin und musste durch uns gelöst werden. Der fast fertige Schulhausneubau war komplett ins Stocken geraten. Seit unserem letzten Besuch vor 7 Monaten war rein gar nichts mehr getan worden. Warum? Der alte Dorfchef begrüsste uns voller Freude, obwohl er schwer krank in seiner Hütte auf dem Bett sass. Er freute sich sehr, uns zu sehen, auch wenn die Schule nach wie vor nicht fertig war. Immerhin waren die Mauern und das Dach fertig und die Kinder konnten darin unterrichtet werden. Doch es war weder verputzt noch war der Boden gemacht. Er bedankte sich für alles, was wir für sein Dorf tun. Dass der Bau nicht weiterging hat mit ihm gar nichts zu tun. Der «Wurm» lag anderswo – beim Überbringer des Geldes aus einem anderen Dorf – und wir kümmerten uns umgehend darum. Dadurch, dass dieser in verschiedene private Probleme und mysteriöse Geschichten verwickelt war, ging es derzeit nicht weiter. Glücklicherweise konnten wir uns gegenseitig einigen und den Weiterbau unverzüglich in die Wege leiten. In der guten Hoffnung, dass wir das Schulhaus bei unserem nächsten Besuch endlich komplett fertig sehen können...
Ende Dezember 2017 war es schlussendlich soweit und wir konnten das fertige Primarschulhaus offiziell den Dorfbewohnern übergeben. Wir unterhielten uns mit den anwesenden Kindern und freuten uns, wie sich ein Fünftklässer in einwandfreiem Französisch mit uns unterhalten konnte. Damit ist er in Sachen Kommunikation bereits sehr viel weiter als seine Eltern, welche ausschliesslich Dialekt verstehen. Genauso soll es in Zukunft mit den Kindern in Less Wouroum weitergehen. Die Bedingungen für eine bessere Schulbildung sind geglückt und wir werden bestimmt wieder bei ihnen vorbei schauen und sie auf ihrem Weg begleiten.
➤ zum exakten Lageplan des Projekts auf Google Maps
Februar 2016: Dorfchef Jaro betet als Dank für uns, bevor wir uns verabschieden.
Dezember 2015: Die «Primarschule» und einige Schüler von Less Wouroum.
Dezember 2015: Das «Schulhaus» in Less Wouroum bei unserem ersten Besuch.