Die Gegend wirkte fast schon idyllisch. Einige Kühe weideten auf den dürren Wiesen, Frauen kamen mit Töpfen voll mit Wasser oder frisch gewaschenen Kleidern von den Flüssen und Kinder rannten herum. Auf diversen Bäumen hingen Bienenstöcke und fleissige Bienen brachten ihren Ertrag nach Hause. Schafe liefen frei herum und suchten sich etwas zu essen. Spätestens nach dem Monat März sind die umliegenden Bäume voller reifer Mangos und der Boden übersät mit hinuntergefallenen Früchten. Die Bäume gehören niemandem, wachsen frei und wild und jeder darf sich daran bedienen. Doch die Idylle trügt: der Alltag hier ist mehr als nur hart!
Im Dezember 2015 fuhren wir zum ersten Mal nach Mbilang und konnten dank einer Hinterlassenschaftsspende den Startschuss zum Neubau dieses Primarschulhauses geben. Das Gebäude besteht aus zwei Schulräumen. Eine stabile Eisentüre sorgt für Schutz vor den zerstörenden Termiten. Damals waren wir zum ersten Mal vor Ort. Schon von Weitem sahen wir auf einer Erhöhung mitten im Nichts einmal mehr eine simple Buschhütte ohne Wände und ohne jegliches Mobiliar. Diese Hütte war die Schule des Dörfchens. Damit die Kühe nicht in die Schule eindringen und sie zerstören konnten, war sie mit einem Zaun aus Ästen und Dornenstäben abgesteckt worden. Ein kleines Brett diente den Kindern als Eingang. Die Bänke standen wackelig auf Steinen, weil die Termiten sonst ständig das Holz zerfrassen. Einige Kinder mussten aus Platzgründen am Boden sitzen. In der Regenzeit konnten sie die Schule nicht besuchen, weil es ihnen auf den Kopf tropfte. Bei Sturm wurde die Hütte bereits mehrmals vom Wind zerstört. Die Schule besuchten damals 124 Kinder (Stand Dezember 2015) von der 1. bis zur 6. Klasse, sie existiert bereits seit 2004 und hat drei Lehrer der Regierung. Rektor Timothé ist jeden Tag anwesend und lebt mit den Dorfbewohnern. Das Schulgeld beträgt rund CHF 2.50 pro Schuljahr.
Rund um die Schule erspähten wir jeweils geschätzte 5 Kilometer entfernt verteilt vereinzelte Strohdachhüttchen, wo die rund 500 Dorfbewohner verstreut leben. In Mbilang leben hauptsächlich Muslime und einige Baptisten. Sie gehören überwiegend dem Stamm der Yamba und der Fulbe (einem ursprünglich nomadisierenden Hirtenvolk) sowie einigen Ureinwohnern an. In ihrem Dörfchen gibt es keine einzige Einkaufsmöglichkeit. Sie kaufen in Mayo Darle ein.
Wie überall wurden wir auch hier mit offenen Armen und freudigen Gesichtern empfangen und lernten Dorfchef Jaro kennen. Die Dorfbewohner erzählten uns, dass sie ihr Wasser aus dem Fluss holen. Er ist sauber, doch leider ziemlich weit entfernt. Sie leben ausschliesslich von Landwirtschaft und ihren Kühen. Zur Sicherheit fragten wir, ob sie ihre Kinder wirklich lieber in die Schule schicken, als dass sie zu den Kühen schauen müssen. Auf jeden Fall, das waren sich alle einig. Zu den Kühen schauen sei die Aufgabe der Eltern. Sie klatschten vor Freude, als sie feststellten, dass wir ihnen helfen wollen, eine neue Schule zu bauen.
Wie sah ihr Anteil an einem Neubau aus? Wir diskutierten gemeinsam und kamen zum Ergebnis, dass sie den Sand leider nicht aus ihrem Fluss nehmen können, da er viel zu tief ist. Die Arbeiter boten an, dass sie Wasser zur Baustelle bringen und Holz herbei schaffen können, denn es hat genügend Bäume in der Umgebung. Die Mütter kochen für die Arbeiter. Wir entschieden, dass es am besten ist, diese Schule aus Erdblöcken zu errichten. Ein Transport von Sand wäre in diese abgelegene Region viel zu schwierig und zu teuer. Mit Blöcken aus getrockneter Erde wird das Gemäuer mit einem späteren Verputz mindestens so stabil wie aus Zementblöcken, wenn nicht sogar noch stabiler. Die damalige Trockenzeit war ideal für einen Neubau. Damit war der offizielle Startschuss der Schule geglückt.
Dorfchef Jaro teilte uns mit, er sei besorgt darüber, dass sie nicht gewusst hatten, dass wir kommen. Ob sie nicht in aller Eile einige Leute zusammen trommeln könnten, damit sie uns etwas kochen und auftischen könnten? Hier und so mit leeren Händen sei doch gar unfreundlich… Wir winkten ab. Zu sehen, wie sie sich nun gemeinsam um den Neubau und um eine gute Arbeit kümmern sei für uns die beste Nahrung. Dass wir ihnen danken, wenn sie sich anstrengen und ihren Kindern helfen. Jaro bedankte sich mehrmals. Es sei so schön, dass wir an sie gedacht hätten. «Was ist eure Motivation und warum seid ihr nach Mbilang gekommen?», war seine nächste Frage. Eine wirklich gute Frage, die vorher noch niemand gestellt hatte. Wir erklärten, dass wir hier sind, um den Kindern zu helfen. Dass wir Mühe haben über die Ungerechtigkeit auf der Welt. In unserer Heimat, wo alles mehr als organisiert ist, jedes Kind zur Schule gehen kann, jeden Tag genug Wasser zur Verfügung ist, alle Ausbildungsmöglichkeiten vorhanden sind, Ärzte fast in jedem Dorf leben und und und… Dass wir in erster Linie hier sind, um ihren Kindern zu helfen.
Im Februar 2016 waren wir erneut vor Ort. Schon bald erreichten wir das Schulgelände, wo noch die alte Buschschule stand und daneben unsere neue Schule erbaut wurde. Der Dorfchef hatte sich Arbeitskleider übergezogen und half zusammen mit weiteren Einheimischen aktiv bei der Arbeit des Dachdeckers mit. Die Kinder kamen aus ihren Hütten mit Töpfen voller Essen zu den Arbeitern. Ein wahrhaft sehr erfreulicher Anblick! Genauso, wie wir es uns vorgestellt hatten. Als sie uns entdeckten, freuten sich alle riesig und begrüssten uns. Was die Arbeiter hier in nur 6 Wochen auf die Beine gestellt hatten war wirklich wunderbar. Ohne jegliche Maschinen und mit reinster Handarbeit. Alles sah sehr gut aus.
Als Jaro zum Abschied für uns betete, war es ein sehr rührender Moment. Zuerst betete er zu seinem Gott Allah, danach bat er uns, zu unserem Gott zu beten. Keine Spur von Glaubenskonflikten, von muslimischer Radikalität, von der Idee, nur eine Glaubenseinstellung sei die richtige. Genauso kannten wir die muslimische Gemeinschaft in dieser Region, und genauso liebten wir sie. Obwohl nie jemand vorbeikommt, sind sie komplett offen für andere und ihnen fremde Kulturen, man respektiert sich gegenseitig und arbeitet gemeinsam für eine gute Sache.
Im September 2016 bestaunten wir das neue Gebäude selber vor Ort und eröffneten es offiziell. Der Schulbetrieb war im Gange, wenn auch noch nicht alle Kinder gekommen waren. Man nimmt es nicht so genau, wann nach den Ferien begonnen wird. Ein Lehrer war zwar da, doch längst nicht alle Kinder. Wir zählten 40 Stück. Seit Mai 2016 können sie unsere neue Schule benützen. 4 Lehrer stehen der Schule zur Verfügung. In einem der Klassenzimmer wurde Rechnen geübt. Aller Anfang ist schwer. Doch der Lehrer war hochmotiviert und erklärte den kleinen Kindern unermüdlich, wie sie zu zählen haben. Eine nicht einfache Aufgabe. Erstens verstehen sie fast noch kein Französisch, da sie zu Hause Fulfulde oder anderen Dialekt sprechen. Zweitens sind sie noch sehr klein. Drittens waren sie alle abgelenkt durch unseren Besuch. An der Wandtafel (auf der Wand aufgemalte Farbe) hatte er Äpfel und Fische gezeichnet. Ein Kind nach dem anderen ging hervor und versuchte sich im Zählen und Schreiben. Im zweiten Raum waren die Klassen 3 und 4 versammelt. Erst 10 Kinder waren in diesem Zimmer. Der zweite Lehrer erklärte, dass viele seiner Schüler noch nicht kommen können, weil der Wasserstand des Flusses zu hoch ist und es keine Brücke durch den Busch hat.
Es gibt so viele Schwierigkeiten zu bewältigen, die den Alltag hier prägen, die wir uns gar nicht vorstellen können. Wie beispielsweise, dass die Aussenbemalung der Schule bereits nach wenigen Monaten sehr schmutzig war. Die Kühe, welche sich wohl oder übel auch um die Schule aufhalten, kratzen sich am Gebäude und hinterlassen ihre Spuren. Auf der gesamten Breite war ein brauner Strich zu sehen. Da es noch keinen Zaun gibt, können sie nachts problemlos auf das Gelände. Der starke Regen spritzt den Erdboden in die Höhe und leider auch an die Wände. Die Lehrer wollen mit den Eltern einen Graben um die Schule ausheben, um das Spritzwasser abzufangen. An einer Stelle des Daches drang Regen auf das Unterdach. Leider war anscheinend irgendwo ein Loch im Blechdach, was während des Aufnagelns schnell passieren kann. Die Klassenzimmer waren am Boden schmutzig, weil alle Kinder sich durch den Schlamm in die Zimmer bewegen. Er müsse täglich reinigen, meinte der Lehrer. Doch alles in allem sah der Neubau ordentlich aus.
➤ zum exakten Lageplan des Projekts auf Google Maps
Ende Februar 2016: Mit den Primarschulkindern von Mbilang in ihrer alten «Schule».
Ende Februar 2016: Der schwierige Anfahrtsweg nach Mbilang.
Dezember 2015: Kurzfilm über die Primarschule, welche wir vorgefunden haben.
Mitte 2015: Der Lehrer zeigt uns, wie schwierig die Kinder ins «Schulzimmer» gehen müssen.
Mitte 2015: Der Lehrer erklärt uns seine schwierige Situation in einer Videobotschaft.