Anfang September 2016: Auszüge aus unserem Tagebuch
«Nun ging es für uns weiter Richtung Bossa. Dort trafen wir uns mit unseren Bororo-Girls und ihren Vätern, um das Thema einer eigenen Wohnung zu besprechen. Wir waren eine halbe Stunde verspätet und trotzdem war noch niemand zu sehen. Kurz darauf fuhren die ersten Väter auf Mofataxis vor und begrüssten uns freudig. Die Mädchen seien ebenfalls auf dem Weg, teilten sie mit. Maimuna kam als erste und noch einigermassen pünktlich. Während wir auf einer einfachen Holzpritsche vor einem Restaurant warteten, knipste ich Fotos und unterhielt mich mit ihr. Die Menschen in Bossa sprechen wieder eine andere Sprache (Meta) als in Bali Nyonga, obwohl es wirklich sehr nahe liegt. Doch immerhin verstehen sie einige Wörter. Die Bororo sprechen Fulfulde, was es deutlich einfacher macht. Ich sehe ihren Gesichtern an, zu welcher Rasse sie gehören. Fulfulde findet man von Süd bis Nord und an vielen verschiedenen Ecken. Die «Sippe» dieser Bororo lebt auf einem Hügel, der zirka 1 ½ Stunden zu Fuss entfernt von Bossa liegt.
Maimuna war in den letzten 6 Monaten richtig zu einer jungen Frau heran gewachsen und erzählte, die Schuluniform sei ihr leider nun zu klein geworden und passe nicht mehr. Die Schule fing am darauf folgenden Tag an. Ich fragte sie, was sie denn nun tun wolle. Sie wusste es nicht. Sie würde trotzdem hingehen, doch die Lehrer würden es nicht akzeptieren. Während wir für uns alle eine kleine Flasche Süssgetränke kauften und verteilten, trank Maimuna nur ganz wenig davon. Ich hatte bereits die Flasche leer, als sie kaum angefangen hatte. Wir warteten eine gefühlte Ewigkeit auf die restlichen Mädchen. Eine Stunde später waren wir endlich komplett. Nach gegenseitiger freudiger Begrüssung verlagerten wir unsere Gespräche in das Haus direkt neben der Schule, welches die Mädchen schon bald beziehen würden. Nur eines der Mädchen war nicht anwesend, weil sie noch in den Schulferien und an einem anderen Ort weilte.
Noch bevor wir gemeinsam die Wohnung besichtigt hatten, begannen ernsthafte Gespräche zwischen den Vätern, ihren Töchtern und Gregory. Ein Hauptthema war, dass keines der Mädchen ein Handy besitzen darf. Dies vor allem auch, weil alle Telefonnummern mit einer Identitätskarte registriert sein müssen, welche die Mädchen nicht besitzen. Früher konnte man auch ohne ID Nummern beziehen. Sie beschwichtigten, kein Handy zu besitzen und sich frühestens im Alter von 18 Jahren damit beschäftigen zu wollen. Der Vermieter der Wohnung ist der Discipline Master ihrer Schule. Er lebt in der Wohnung gleich nebenan, wirft ein Auge auf die Mädchen und ist ihr erster Ansprechpartner, sollte es ein Problem geben. Zudem besitzt er die Telefonnummer der Eltern und kann sich umgehend mit ihnen in Kontakt setzen.
Gemeinsam sahen wir uns die Wohnung, die Dusche, die Toilette und die Kochstelle an. Die Dusche ist draussen in einem kleinen Räumchen aus Erdsteinen. Doch immerhin mit fliessend Wasser. Die Toilette und die Küche befinden sich ebenfalls ausserhalb. In der Mitte des Compounds hat es einen Wasserhahn. Die Wohnung selber ist ein kleiner Raum mit zwei Fenstern und zwei Türen. Um die Reparatur des Türschlosses kümmerten wir uns ebenfalls umgehend, damit die Mädchen und ihre Habseligkeiten in Sicherheit sind. Die Miete der Wohnung kostet 3000 CFA (5 CHF) pro Monat. Was wir direkt für ein ganzes Jahr dem Vermieter übergaben. Die Väter waren überglücklich und bedankten sich bei uns. Sie redeten auf ihre Mädchen ein, niemanden in die Wohnung zu lassen. Weder Mädchen noch Jungs. Sie seien zum Lernen hier. Sie sollen als Team funktionieren, sich gegenseitig helfen und allen Freunden klar machen, dass die Wohnung nur für sie selber Zutritt gewährt und es für sie nicht erlaubt ist, jemanden anderen hinein zu lassen. Sie sollen nicht auf andere hören, die mit ihnen abhängen wollen. Und was mich am meisten freute war, als die Väter ihnen erklärten, dass sie nichts mit Männern anfangen sollen und jeder Mann nur so viele Rechte habe, wie sie ihm zugestehen würden. Diese Aussage konnte stutzig machen, da dieselben Väter doch noch vor wenigen Jahren ihre Mädchen an Männer «verkauft» hätten, weil sie nicht wussten, was mit ihnen anzufangen und kein Geld für die Schule besitzen. Auch die Väter haben begriffen, dass ihre Mädchen von uns wirklich eine unglaubliche Chance auf eine gute Ausbildung bekommen, die sie auf keinen Fall gefährden sollen. Jedes Wochenende können sie nach Hause gehen, um dort dem Studium des Korans nachzugehen. Allah wird euch Kraft geben, war eine der letzten Aussagen, bevor die Mädchen und auch die Väter in die Hände klatschten und alles besprochen und abgemacht war. Sie sind sich bewusst, dass sie derzeit am Fundament ihrer Zukunft arbeiten und wollen es nicht gefährden. «Wenn ihr nicht lernt, landet ihr im Gefängnis! Dann lachen euch alle aus. Wollt ihr das?», war eine der Aussagen eines Vaters. Auch wenn sie etwas überspitzt ist, ist sie nicht allzu weit hergeholt. «Seid gute Kinder, hängt nicht auf dem Markt herum, versprecht euren Vätern, nichts mit Jungs anzufangen, lernt jeden Tag fleissig, funktioniert als eine gemeinsame Familie, bleibt im Haus und konzentriert Euch auf die Schule…» So und ähnlich waren weitere Reden von Gregory, die die Mädchen zu hören bekamen. Die Gespräche waren wirklich sehr ernst und die Mädchen versprachen, sich anzustrengen und an die Regeln zu halten. Auch die Väter stimmten zu, dass dies zurzeit der beste Platz für ihre Kinder ist. Die Eltern können in der Not hier übernachten, falls sie spät vom Markt zurückkommen und es nicht mehr rechtzeitig den Berg hoch schaffen. Zudem teilten wir ihnen mit, sie sollen dies für sich behalten und nicht herum erzählen. Die Mädchen sind in der Zwischenzeit zwischen 13 und 16 Jahren und somit schon sehr selbstständig. Sie können für sich selber sorgen, die Wäsche machen und kochen. Dies, weil sie es schon seit Jahren zu Hause tun mussten. Dieses Thema war somit besprochene Sache und abgeschlossen.
Gemeinsam mit den 5 Girls auf dem Rücksitz ging es nach Bali. Nun tauten sie auf, denn wir waren «unter uns» und hatten viel zu lachen. Vor allem, als ich mich in Fulfulde versuchte. Sie lachten darüber, dass die Kameruner Ratte essen, denn sie als Moslem würden das niemals essen. Dann schon lieber Salat. Wir fuhren mit ihnen zum Container, um neue Schuhe für die Schule auszusuchen. Zudem teilten wir Maimuna mit, sie solle sich umgehend bei der Schneiderin im Dorf für ihre neue Schuluniform melden und die zu klein gewordene weitergeben. Wir versprachen ihnen, uns am nächsten Tag um die Betten, Bettanzüge und weiteres Nötige für die Wohnung sowie um die Schulbücher zu kümmern.»