Ende Dezember 2017 fuhren wir zum ersten Mal nach Saah im Bezirk Bankim, um die aktuelle Situation vor Ort zu begutachten. Von Nyamboya zweigt man Richtung Nordwesten zur nigerianischen Grenze ab und folgt während zwei Stunden einer vorerst stetig enger werdenden Erdpiste. Die Fahrt führte durch mehrere Flüsse, weil die ersten beiden Brücken instabil waren und nur noch fürs Fussvolk hielten. Die dritte Brücke war glücklicherweise stabil genug für unser Fahrzeug inklusive aller Passagiere. Riesige Palmen säumten den Weg und boten wunderbare Fotosujets.
Die Fahrt führte vorbei am Ort Atta Petel und kurz danach passierten wir einen letzten Kontrollpunkt vor der Grenze zu Nigeria. Nun befanden wir uns mehr oder weniger im Niemandsland. Politisch noch in Kamerun, doch ausserhalb der offiziellen Landesgrenze, denn bereits hinter den naheliegenden Bergen liegt Nigeria. Die enge Piste wurde allmählich wieder breiter und zu unserer Überraschung fuhren wir plötzlich sogar auf einer guten Piste und kamen richtig zügig voran.
Nahe dem kleinen Ort Saah findet regelmässig ein Wochenmarkt statt. Mitten in diesem Marktgewühl fanden wir kaum noch einen Weg. Etliche auf der Piste liegende Reissäcke versperrten unseren Weg und es wimmelte von Menschen. Sie alle deckten sich mit frischen Lebensmitteln ein. Das Meiste wurde aus Nigeria gebracht. Die Händler kamen zu Fuss über die Berge und trugen riesige Flechtkörbe auf dem Rücken. Ihre Region ist sumpfig und Reis wächst dort deshalb wunderbar. Hunderte Augenpaare beobachteten uns, als wir zu Fuss durch den Markt schlenderten und das Angebot betrachteten. Fleisch, Mandarinen, Öl, weisse Karotten, gekochter Maniok, Seifen, Kleider… Sogar eine Handyreparatur eines gewieften jungen Burschen entdeckten wir. Diverse Einzelteile und «Innereien» von Mobiltelefonen lagen vor ihm auf einem einfachen Holztisch, worauf er lötete, schraubte und bastelte. Sein Wissen begeisterte uns, denn in der Schweiz wären diese Telefone längst in der Entsorgung gelandet.
Unsere Fahrt führte nach diesem Markt 5 Minuten weiter Richtung Gembu (Nigeria). Nun standen wir wirklich an der Landesgrenze. Ein Polizist begrüsste uns formell und hiess uns willkommen. Hinzu gesellten sich Dorfchef Adamou sowie weitere Dorfälteste, welche bereits auf uns gewartet hatten. Im Schatten versammelt und auf einer einfachen Holzbank sitzend erzählte uns der Dorfchef über Saah. Ihr gemischtes Volk besteht aus den Stämmen der Yamba, Mambila, Mbororo und einigen Hausa.
Das Dorf hat zirka 280 Einwohner, wovon 120 Kinder sind. Alle leben in Grossfamilien. Die Bewohner sind einfache Ackerbauern und leben hauptsächlich von Kochbananen, Erdnüssen, Bananen, Mais oder Palmöl und Kaffee der Sorte Robusta. Ihr Wasser holen sie sich aus dem Fluss, welcher glücklicherweise immer sauber ist. Wenn die Bewohner krank sind, können sie sich im 7 Kilometer entfernten Atta behandeln lassen, wo sich ein kleines Gesundheitscenter befindet. Strom hat der Ort keinen, dafür Telefonnetz. Von Saah ist man in 7 Kilometern oder einem 90 Minuten langen Fussmarsch über die Berge in Nigeria. Der Wochenmarkt ist durchmischt von Völkern aus Kamerun und Nigeria und es wird mit Geld in beiden Währungen gehandelt.
Zu Fuss über einen Fusspfad gingen wir weiter zu ihrer Buschhüttenschule, welche einige Kilometer weiter auf einem Hügel errichtet worden war. Unser Fahrzeug konnte hier nicht mehr passieren. Bis wir effektiv bei der winzigen Schule ankamen, vergingen mehrere Minuten unter schweisstreibender Sonne, die wir nutzten, um mehr über die Bewohner in Erfahrung zu bringen. Wie war das Dorf überhaupt auf uns gekommen und wie hatten sie von uns gehört? Sie leben hier so abgeschieden und weit entfernt von unseren bereits errichteten Schulen. Der Dorfchef hatte Lehrer Christian gefragt und ihn um unsere Hilfe gebeten, nachdem er unsere Schule in ➤ Kpongong gesehen hatte. Das Buschtelefon war also bereits bis hierhin gekommen. Weiter erzählte er uns, dass er vor einem Jahr zum Dorfchef ernannt wurde. Er selbst besuchte die Schule in Mayo Darle, da es in seiner Kindheit in Saah noch gar keine Schule gegeben hat.
Die Eltern haben im Jahr 2013 begonnen, eine Schule für ihre Kinder zu eröffnen. Bei unserem ersten Aufenthalt besuchten 70 Kinder die Klassen 1 bis 4. Somit waren noch längst nicht alle Kinder des Ortes eingeschult. Ein schönes neues Gebäude würde bestimmt viele weitere anlocken und motivieren, die Schule zu besuchen. Ein Schuljahr kostet 4000 CFA (6.60 CHF). Der Ort hatte damals noch keinen offiziellen Staatslehrer. Tatsächlich muss in Kamerun jeder Ort selber beginnen, eine Schule zu errichten und mit den Eltern die Initiative ergreifen, bevor der Staat einen Lehrer zur Verfügung stellt. Unglaublich! Die Schule wird zweisprachig (Französisch und Englisch) geführt, da das Volk sehr gemischt ist. Untereinander tauschen sie sich in Französisch aus.
Die damalige Schule bestand nur aus einem löchrigen Strohdach, hatte weder Wände noch Sitzbänke für die Kinder und auch keine Wandtafel. Als wir die Schule erreichten, schlug einer der Männer auf die alte Fahrzeugfelge, welche als Glocke benutzt wird, um die Kinder auf den Schulstart aufmerksam zu machen. Einige kamen sofort angerannt, während andere noch auf dem Weg in Windeseile wieder umkehrten und in einem unglaublichen Tempo in den Busch zurück verschwanden. Sie hatten uns entdeckt und waren furchtbar in Sorge, dass wir sie entführen wollten..! Nun wurden wir Zeugen davon, was wir bereits gehört und bisher zum Glück noch nie erlebt hatten: in dieser Region ging das wilde Gerücht umher, dass Fremde vorbeikommen und Kinder impfen und danach entführen. Hartnäckig hielt sich dieses Kungusa (Geschwätz) neuerdings in den Köpfen der Einheimischen fest. Gestartet hatte das Ganze im entfernten Norden von Ngaoundéré und war – leider auch via Buschtelefon – bis hierhin gekommen. Wer das Gerücht gestartet hatte war unklar. Die Menschen dieser Region sind sehr leicht beeinflussbar und Kinder sowieso. Uns blieb nichts anderes übrig, als diejenigen Kinder, die gekommen waren, freundlich zu begrüssen. Wir versuchten, sie davon zu überzeugen, dass wir ihnen nichts Schlechtes wollen, sodass sie dies später den anderen Kindern weitererzählen konnten.
Umso wichtiger war es, die anwesenden Kinder, welche gekommen waren, ernst zu nehmen, ihnen eine Stimme zu geben und ihnen aufmerksam zuzuhören. Sie erzählten uns davon, wie schwierig es für sie ist, in diese Schule zu gehen. In der Regenzeit kann kein Unterricht stattfinden. Ein 14 Jahre alter Bursche erzählte uns, dass er wie seine Eltern Bauer werden will und es trotzdem wichtig findet, die Schule zu besuchen. Sein Klassenkamerad will später ins Gymnasium, um Lehrer zu studieren, damit er seinem Dorf und weiteren Kindern helfen kann. Die 10 Jahre alte Alice möchte Schneiderin lernen. Ihre beiden Freundinnen träumen von Berufen wie Ärztin und Polizistin. Bis zum Pfarrer reichten die Träume und Wünsche der Kinder. In klarem Französisch trugen sie ihre Ziele vor und jedes wollte sich mitteilen. Im Gegensatz zu ihren Eltern, welche ausschliesslich den Dialekt ➤ Mambila verstehen, sprechen diese Schulkinder die offizielle Landessprache und sind somit bereits gebildeter als ihre Vorfahren. Gemeinsam motivierten wir sie, ihr Ziel zu verfolgen. Denn alles ist möglich, wenn sie fleissig sind und den Unterricht täglich besuchen.
Wir brachten das Gespräch auf einen allfälligen Neubau der Schule und befragten die anwesenden Erwachsenen. Die Dorfältesten einigten sich, dass sie gemeinsam das Land für den Neubau aufbereiten und roden können. Zudem versprachen sie, 5000 Erdblöcke anzufertigen, welche für das Mauerwerk benötigt wurden sowie Wasser und Sand aus dem Fluss auf die Baustelle zu tragen. Unsere Vorbereitung und Erstbesprechung war somit erledigt.
Zu Fuss ging es zurück zu unserem Fahrzeug. Dorfchef Adamou schnitt aus Dankbarkeit über unser Erscheinen und Interesse an seinem Dorf einen riesigen Bund Kochbananen aus seinem Garten, um ihn uns mit auf den Weg zu geben. Als Abschiedsgeschenk für die Kinder hinterliessen wir einen Fussball, welchen sie mit riesiger Freude in Empfang nahmen. Nun hatte auch das letzte Kind verstanden, dass wir es gut mit ihnen meinten.
Ende Januar 2018 erhielten wir glücklicherweise dank dem ➤ Sternsingen 2018 – Maria Himmelfahrt Jona, eine Spende für den Neubau dieses Primarschulhauses. Die Sternsinger-Kinder hatten fleissig für unser Schulhausprojekt gesammelt (8762 CHF), sodass wir umgehend das Okay zum Neubau weiterleiten konnten. Da die Regenzeit kurz bevor stand, beeilten sich unsere Bauarbeiter enorm, um das Bauwerk so rasch wie möglich fertig zu stellen. Sie benötigten für den kompletten Aufbau nur gerade 4 Wochen! Auch hier bestand ein Teil der Arbeit der Dorfbewohner aus dem Bekochen der Arbeiter. Begleitet wurde der Schulbau durch zwei Lehrpersonen, die unter der Woche – während sie die Kinder unterrichten – in Saah leben. Alle hielten ihr Versprechen, mitzuhelfen, sodass dieses Gemeinschaftsprojekt erfolgreich wurde.
3 Monate später – Ende April 2018 – erhielten wir erste Fotos des fertigen Gebäudes. Mitte Mai 2018 wurde zusätzlich die Beschriftung des Malers angebracht. Die Bauarbeiter hatten alle Hebel in Gang gesetzt, damit die Kinder noch vor der bevorstehenden Regenzeit in die neue Schule einziehen konnten.
Im September 2018 fand unsere offizielle Eröffnung und Übergabe statt. Aufgrund des starken Regens stand beinahe die gesamte Piste unserer Anreise unter Wasser. Als wir auf den Schulhof kamen, kreischten und hüpften alle Kinder vor Freude und stürmten uns aus ihren zwei neuen Klassenzimmern entgegen. Es war ein so herrlicher Empfang, der alle Strapazen der Anreise sofort vergessen liess. Es herrschte Ausnahmezustand! Von ihrer Angst wie bei unserem ersten Besuch war überhaupt nichts mehr zu spüren. Wir knipsten diverse Fotos und erhielten die Information, dass an diesem Tag 94 Kinder in der Schule waren. Damit war die Anzahl bereits um 24 Kinder angestiegen. Wenn alle kommen, die sich eingeschrieben haben, sind es 120. Mittlerweile hat ihnen der Staat zwei Lehrer zur Verfügung gestellt, welche die Klassen 1 bis 5 unterrichten. Alle freuen sich riesig, dass wir ihnen geholfen haben und danken den Spendern von ganzem Herzen!